Ein pragmatisches Verfahren zum Management periimplantärer biologischer Komplikationen
Einleitung
Periimplantäre biologische Komplikationen, also periimplantäre Mukositis oder Periimplantitis, kommen nach dem Einsetzen eines Implantats häufig vor. Die Angaben zur Prävalenzrate von periimplantärer Mukositis und Periimplantitis schwanken aufgrund inkonsistenter Definitionen der Erkrankung stark. Schätzungen zufolge ist nahezu jeder zweite Patient von periimplantärer Mukositis und etwa jeder vierte bis fünfte bis zu einem gewissen Grad von Periimplantitis betroffen (Derks & Tomasi 2015; Diaz et al. 2022; Salvi et al. 2019). Infolge dieser hohen Zahlen sowie der stetig wachsenden Anzahl an Implantationen (Klinge et al. 2018) stellen Diagnose und Management periimplantärer biologischer Komplikationen einen festen Bestandteil des klinischen Arbeitsalltags dar.
Diagnose
Auf dem World Workshop on the Classification of Periodontal and Peri‐Implant Diseases and Conditions 2017 wurden diagnostische Kriterien für periimplantäre Mukositis und Periimplantitis festgelegt (Renvert et al. 2018). Periimplantäre Mukositis ist definiert als (1) Entzündung um das Implantat (also Rötungen, Schwellungen, Blutfäden oder Blutstropfen innerhalb von 30 Sekunden nach dem Sondieren), jedoch (2) ohne zusätzlichen Knochenverlust nach der Ersteinheilung (Abb. 1).
Periimplantitis ist zu erkennen an (1) Entzündungszeichen, vergleichbar einer Mukositis, (2) einem radiologischen Nachweis von Knochenverlust nach Ersteinheilung und (3) der Zunahme der Sondierungstiefe im Vergleich zu Messungen kurz nach dem Einsetzen der prothetischen Rekonstruktion (Abb. 2). Liegen keine früheren Röntgenaufnahmen vor, weisen ein radiologisches Knochenniveau von ≥ 3 mm zusammen mit Sondierungsblutungen und Sondierungstiefen von ≥ 6 mm auf eine Periimplantitis hin.
Der erwartete Knochenverlust nach Ersteinheilung ist auf die marginale Knochen-Remodellierung zurückzuführen und variiert in Abhängigkeit von Faktoren wie Implantatsystem oder Implantattyp.
Ein Knochenverlust von 1–2 mm gilt beispielsweise bei Implantaten auf Knochenniveau mit Außenverbindung allgemein als „normal“ (Abb. 2d, Implantat an Position 23).
Mnemonisches Verfahren für eine hohe Bildqualität bei Röntgenaufnahmen
Um konsistente und vergleichbare Röntgenaufnahmen im zeitlichen Verlauf zu erzielen, die keine Überlappungen (Unschärfen) bei den Implantatgewinden aufweisen, gibt es im Englischen eine einfache mnemonische Regel: „Right Blur, Raise Beam & Left Blur, Lower Beam“ – RBRB/LBLB (rechts verschwommen – höher & links verschwommen – tiefer) (see Figure 3 adapted from Schropp et al. 2012).
Aspekte der Oralhygiene
Der primäre ätiologische Faktor für periimplantäre biologische Komplikationen ist der orale Biofilm. Daher sollten bei der Behandlung in jedem Fall zwei wesentliche Aspekte berücksichtigt werden, unabhängig von einer Diagnose periimplantärer Mukositis oder Periimplantitis: (1) die Qualität der Oralhygiene und (2) die Reinigungsfreundlichkeit der prothetischen Restauration (Abb. 4).
In diesem Sinne sollten sowohl die tägliche Oralhygiene des Patienten als auch die Gestaltung der prothetischen Restauration sowie die Positionierung des Implantats eine wirkungsvolle Reinigung unterstützen. Bei Bedarf sind Anpassungen der vorhandenen Restauration (Abb. 5) und konkrete Anweisungen für eine maßgeschneiderte Oralhygiene von größter Bedeutung (Abb. 6) (Hamilton et al. 2023; Jepsen et al. 2015).
Häufig kommen chemische Wirkstoffe (z. B. Antiseptika, lokale Antibiotika, Säurebehandlung oder antimikrobielle photodynamische Therapie) als begleitende Maßnahmen zur mechanischen Plaquekontrolle zum Einsatz. Allerdings gibt es aufgrund der unzureichenden Datenlage keinen Konsens hinsichtlich des möglichen Nutzens zusätzlicher chemischer Wirkstoffe als begleitende Maßnahmen zur Plaquekontrolle durch den Patienten selbst (Gennai et al. 2023. Efficacy of adjunctive measures in peri-implant mucositis. A systematic review and meta-analysis. Journal of Clinical Periodontology, 1–27) und eine umfassende Heilung bleibt ohne professionelle Intervention in der Regel eine Herausforderung (Salvi & Ramseier 2015).
Management der periimplantären Mukositis
Das Behandlungskonzept der periimplantären Mukositis ist mit der Gingivitistherapie vergleichbar. Die wichtigste Maßnahme ist eine professionelle Plaquekontrolle mit dem Ziel einer mechanischen Entfernung des Biofilms ohne Veränderungen am Implantat oder an der Abutmentoberfläche. In der Literatur werden verschiedene Methoden unter Verwendung mechanischer Mittel beschrieben: Küretten, Schall- und Ultraschallscaler, Luftpoliergeräte, Laseranwendungen usw. mit oder ohne antimikrobielle Wirkstoffe. Derzeit liegen keine konsistenten Belege vor, dass eine Methode den anderen überlegen ist, und eine Behandlung der periimplantären Mukositis mit systemischen Antibiotika wird nicht empfohlen (Dommisch et al. 2022; Gennai et al. 2023; Hallström et al. 2012; Herrera et al. 2023; Verket et al. 2023).
Die Wahl der Mittel hängt von den klinischen Gegebenheiten wie zum Beispiel Zahnstein im Unterschied zu weichen Belägen ab. Bei Zahnstein sollten als Erstes Titan- bzw. Kunststoffküretten oder Ultraschallscaler mit speziell geformter Spitze zum Einsatz kommen, gefolgt von einem Luftpoliergerät (Abb. 7). Bei ausschließlich weichen Belägen ist ein Luftpoliergerät allein unter Umständen ausreichend. Luftpoliergeräte sind bediener- und patientenfreundlich und mindestens so wirksam wie Standardinstrumente (Schwarz et al. 2015a).
Zusammenfassend kann man sagen, dass eine nicht-chirurgische Behandlung als Mukositistherapie wirksam sein kann, womit sie einen unverzichtbaren Baustein bei der Periimplantitis-Prävention darstellt. Berichte lassen jedoch auf lediglich moderate und unvorhersehbare Verbesserungen bei den relevanten klinischen Ergebnissen und dem Entzündungsverlauf schließen, also in Bezug auf den Rückgang von Sondierungsblutungen. Dazu kommt ein erhebliches Reinfektionsrisiko und daher kann bei einer periimplantären Mukositis nicht in jedem Einzelfall eine vollständige Heilung erzielt werden (Herrera et al. 2023).
Management der Periimplantitis
Ob bei einem Implantat eine Behandlung erforderlich ist oder nicht, hängt vom Ausmaß des Defekts, der Position des Implantats und seiner strategischen Bedeutung ab. Bei einer mehrteiligen Restauration kann ein stark betroffenes Implantat ähnlich wie ein nicht therapierbares (aussichtsloses) Implantat für die Behandlung irrelevant sein, wenn sich sein Verlust nicht nachteilig auf die prothetische Restauration auswirkt. In diesen Fällen ist es ratsam, bei der Diagnose oder bei der chirurgischen Intervention eine Explantation in Erwägung zu ziehen (Abb. 8).
Das Management einer Periimplantitis bei als therapierbar eingestuften Implantaten besteht aus einer nicht-chirurgischen Phase, oftmals gefolgt von einer chirurgischen Intervention. Bei den nicht-chirurgischen Verfahren kommen ähnliche Maßnahmen zum Einsatz wie bei der Behandlung einer periimplantären Mukositis. Laborexperimente lassen darauf schließen, dass Luftpoliergeräte mit subgingivaler Düse bei der Biofilmentfernung im Vergleich zu Hand- oder Ultraschallinstrumenten allem Anschein nach bestimmte Vorteile bieten (Herrera et al. 2023; Moharrami et al. 2019; Ronay et al. 2017) (Abb. 9).
Allerdings gibt es bei den nicht-chirurgischen Verfahren häufig Einschränkungen beim Zugang zur Implantatoberfläche mit der Folge einer unzureichenden Dekontamination. Das zeigt sich auch in der klinischen Praxis: Die Heilung nach einer nicht-chirurgischen Behandlung der Periimplantitis ist eher unvorhersehbar. In den meisten Fällen kommt es zu einem Rezidiv und nur in weniger als jedem zweiten Fall zur Heilung (Ramanauskaite et al. 2021). Aus diesem Grund muss das Ergebnis einer nicht-chirurgischen Behandlung nach etwa 6 Wochen evaluiert werden und bei moderater oder fortgeschrittener Periimplantitis ist von der Notwendigkeit eines chirurgischen Eingriffs auszugehen.
Die prothetische Restauration sollte bei einer nicht-chirurgischen ebenso wie bei einer chirurgischen Behandlung abgenommen werden, um einen besseren Zugang zur Implantatoberfläche zu ermöglichen. Die Wahl der chirurgischen Intervention (z. B. resektiv, rekonstruktiv oder eine Kombination) hängt von mehreren Faktoren ab: (1) Morphologie des Defekts (z. B. horizontal, Dehiszenz, intraossär oder eine Kombination) (Abb. 10), (2) Implantatoberfläche (also gedreht oder modifiziert/„rau“) und (3) Vorhandensein oder Fehlen einer ausreichend keratinierten und anhaftenden Schleimhaut.
Bei hauptsächlich horizontalen Knochenverlusten oder breiten Defekten mit begrenztem Knochenregenerationspotenzial sollte auf ein resektives Verfahren (also Gingivektomie und/oder apikal positionierter Lappen mit/ohne Knochenrekonturierung) zurückgegriffen werden (Abb. 11).
Für Implantate mit modifizierter Oberfläche und in Regionen, in denen eine Knochenregeneration unwahrscheinlich ist, sollte eine Implantoplastik in Erwägung gezogen werden. Dieses Verfahren beinhaltet die Entfernung des Implantatgewindes und die Glättung der mikrostrukturierten Implantatoberfläche mit rotierenden Instrumenten (Abb. 12). Dieses Verfahren erleichtert die umfassende Dekontamination der Implantatoberfläche und verbessert vor allem die postoperative Biofilmkontrolle (Bertl und Stavropoulus 2021; El Chaar et al. 2020; Geremias et al. 2017). Infolge mangelnder klinischer Evidenz wird die Rolle der Implantoplastik kontrovers diskutiert (Herrera et al. 2023; Ramanauskaite et al. 2021). Allerdings ließen sich die Bedenken im Hinblick auf Entzündungen durch die unvermeidliche Anlagerung von Titanpartikeln sowie auf ein erhöhtes Risiko von Implantatbrüchen infolge verminderter Implantatfestigkeit nicht bestätigen (Stavropoulos et al. 2019).
Für Implantate mit modifizierten Oberflächen und intraossären Defekten mit deutlich höherem Potenzial einer Re-Osseointegration wird ein rekonstruktives Verfahren empfohlen (Monje et al. 2023; Renvert et al. 2009). Dabei können autogener Knochen, Knochenersatzmaterial und/oder Membranen zum Einsatz kommen (Abb. 13) (Donos et al. 2023). Selbstverständlich erfordert ein rekonstruktives Verfahren eine gründliche Dekontamination der Implantatoberfläche. Sowohl Labor- als auch präklinische Studien zeigen, dass eine vollständige Entfernung des Biofilms von der Implantatoberfläche nicht möglich ist (Subramani & Wismeijer 2012). Daher wird für eine wirksame Dekontamination eine Kombination mechanischer und chemischer Maßnahmen empfohlen, wobei jedoch keine bestimmte Methode als überlegen gelten kann (Ramanauskaite et al. 2023; Wilensky et al. 2023). Laut mehrerer Laborstudien zeigen Luftpoliergeräte bei der Entfernung von Biofilm eine überlegene Wirksamkeit (Francis et al. 2022; Keim et al. 2019, Sahrmann et al., 2015). Dabei ist jedoch unbedingt zu beachten, dass intraoperatives Luftpolieren als Off-Label-Use gilt.
Antibiotika können bei rekonstruktiven Verfahren, z. B. mit Knochenersatzmaterial, als begleitende Maßnahme zur chirurgischen Behandlung von Periimplantitis in Erwägung gezogen werden (Heitz-Mayfield & Mombelli 2014). In anderen Fällen wird die standardmäßige Gabe von Antibiotika als begleitende Maßnahme zur chirurgischen Behandlung von Periimplantitis nicht empfohlen (Herrera et al. 2023).
Abschließend bleibt anzumerken, dass Implantate mit weniger als 2 mm keratinierter Schleimhaut Beobachtungen zufolge eine erhöhte Prävalenz von Periimplantitis, eine stärkere Plaquebildung und einen höheren Blutungsindex aufweisen (Ramanauskaite et al. 2022). Dies unterstreicht, dass bei der Prävention und dem Management von Periimplantitis unbedingt eine Augmentation der keratinierten Schleimhaut in Erwägung gezogen werden sollte (Abb. 14).
Fazit
Die Behandlung periimplantärer biologischer Komplikationen zielt auf Infektions- und Entzündungskontrolle ab, ähnlich wie bei Gingivitis und Periodontitis. Doch (1) obwohl die Behandlung periimplantärer Mukositis oft erfolgreich ist, lässt sich nicht in jedem Fall eine vollständige Heilung erzielen, (2) erfolgt der Knochenverlust bei Implantaten im Vergleich zu Zähnen schneller, (3) reicht eine nicht-chirurgische Behandlung bei einer Periimplantitis häufig nicht aus, (4) hängen Art und Ausmaß der chirurgischen Intervention von Defektmorphologie, Implantatoberfläche und der periimplantären keratinierten Schleimhautmenge ab und (5) bleibt das Langzeitergebnis einer Periimplantitisbehandlung nach wie vor weitgehend unabsehbar.
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